Elektronische Tanzmusik

Ein Beitrag von Hans Cousto

Die Kunst des genussvollen Erlebens elektronischer Tanzmusik wird zumeist in ritualisierter Form durch erfahrene Partygänger*innen an noch unerfahrene Interessierte weitergegeben. Die erste Party in einem Technoclub oder auf einem Festival hat oft den Charakter einer zeremoniellen Einweihung in zuvor nicht erahnte Dimensionen des Bewusstseins. Die durch das stundenlange ekstatische Tanzen ausgelösten transzendenten und mystischen Erfahrungen sowie die dabei erlebten Wahrnehmungs- und Bewusstseinswandlungen, haben nicht selten prägenden Charakter für die Persönlichkeitsentfaltung. Deshalb ist es von Vorteil, wenn die älteren Personen, die die jungen Leute in die Partykultur einführen, erfahrene und vertrauenswürdige Partygänger*innen sind, um die Novizen sicher und sanft zu ihrem selbst gesetzten Ziel geleiten zu können.

Das in einem ekstatischen Tanzritual wahrgenommene transzendente Erlebnis übersteigt oft die Grenzen der bisherigen Erfahrung und des zuvor sinnlich Erkannten. Das Wort transzendent ist eine Zusammensetzung aus dem lateinischen Verb scandere (steigen, besteigen, zu etwas hinaufsteigen) und der Präposition trans (jenseits, über). Transzendenz ist ein Prozess vorübergehender Natur bei dem man weit über das Alltagsbewusstsein hinausgehen kann, doch der Zustand veränderten Bewusstseins ist dabei immer zeitlich begrenzt. Im Gegensatz dazu ist die Transformation, die Umwandlung, die Umgestaltung oder die Umformung eine dauerhafte Veränderung in den Strukturen und Funktionen des Bewusstseins.

Eine grenzenlose Verzückung im Zusammenklang mit der höchsten Begeisterung erlebt man auf einer Dancefloor nicht selten im Zustand der Ekstase. Der Begriff Ekstase wurde im 16. Jahrhundert dem gleichbedeutenden kirchenlateinischen Wort ecstasis (griechisch ékstasis: das Aussichheraustreten, das Außersichgeraten, die Verzückung) entlehnt. Die Ekstase ist eine transzendente Erfahrung und von einer Entrückung des Geistes von allen Sinneseindrücken gekennzeichnet wie auch vom Fehlen des Gegensatzes der Außenwelt zum Ich. Der Ekstatiker respektive die Ekstatikerin erlebt ohne Gebrauch seiner/ihrer Sinne die unmittelbare Verschmelzung mit dem Göttlichen, das einem innewohnt. Tänzer*innen berichten von Erlebnissen, die geradezu in überraschender Weise denen sehr ähnlich sind oder gar gleichkommen wie sie von frommen gläubigen Christen berichtet werden nach dem Erleben eines Sakraments.

Die Praktiken der Tanzkultur zu elektronischer Musik finden im Allgemeinen gemeinschaftlich in speziellen Kulturräumen (Clubs, Festivalgelände) statt und werden von den Praktizierenden der ekstatischen Tanzkultur als fester Bestandteil ihrer Lebenskultur respektive ihres Kulturerbes angesehen. Die Kunst des ekstatischen Tanzes wie auch die dazugehörigen Riten werden bis heute von einer Generation an die nächste weitergegeben. Die Riten werden von Gemeinschaften und Gruppen in Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt, ihrer Interaktion mit der Natur und ihrer Geschichte fortwährend neu geschaffen und vermitteln den daran teilhabenden Menschen ein Gefühl von Identität und Kontinuität. Auf diese Weise tragen die unterschiedlichen Riten in Clubs und auf Festivals zur Förderung des Respekts vor der kulturellen Vielfalt und der menschlichen Kreativität bei. Gemäß Definition im UNESCO-Übereinkommen gehören somit die Riten aus dem Bereich der elektronischen Tanzmusik eindeutig zum Weltkulturerbe und gehören somit auch in den Schutzbereich des UNESCO-Übereinkommens.

hans cousto

Hans Cousto

Der Musikwissenschaflter, Mathematiker, Psychonautiker und Buchauthor Hans Cousto wurde 1948 in der französischen Schweiz geboren. Seit vielen Jahren lebt und arbeitet er in Berlin. Er ist Mitbegründer des Vereins Eve&Rave, der sich 1994 in Berlin gründete und u. a. Pionierarbeit auf dem Gebiet Drug-Checking leistete.

Schon Ende der 1970er entdeckte er die sog. Kosmische Oktave, der er viele Jahre seines Lebens widmete. Darüber hinaus hat er sich einen Namen als Sachbuchautor einen Namen gemacht. Seine bekanntesten Publikationen sind „Das Weltkulturerbe Psychonautik – Ein drogenpolitisches Manifest“ und „Psychonautik, Hedonismus und Ekstase“, beide im Nachtschatten Verlag erschienen, sowie „Die Kosmische Oktave – Der Weg zum universellen Einklang”, das bei Synthesis veröffentlicht wurde.

BiographieNachtschatten VerlagVortrag

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